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einem oberflächlich urtheilenden Theaterpublikum Cordelia's Antwort begründeter, wahrscheinlicher macht.

Daß Edgar bei Tate besseren Grund habe, sich zu verkleiden, als bei Shakespeare, kann angezweifelt werden. Denn ist es nicht schon Grund genug, wenn ein junger Mensch, der unschuldig in Noth gebracht ist, sein Leben zu retten versucht? Es wäre sonderbar, wenn Edgar anders handeln wollte; als lebensmüde können wir ihn uns nicht vorstellen. Wir können zwar nicht bestreiten, daß die Hoffnung Edgar's, Cordelia einmal nützlich sein zu können, und noch mehr die I, 242 ff. ausgesprochene Hoffnung, doch durch seine treue Liebe endlich das Herz Cordelia's zu gewinnen, anerkennenswerthe Motive zu Edgar's Entschlusse sind; nothwendig aber waren sie nicht.

Weiter behauptet Tate, durch Einführung des Liebesverhältnisses die Tragik der Handlung erhöht zu haben. Dazu bemerkt Colman ganz richtig: The distress of the story is so far from being heightened by it, that it has diffused a languor and insipidity over all the scenes of the play, from which Lear is absent; for which I appeal to the sensations of the numerous audiences, with which the play has been honoured; and had the scenes been affectingly written, they would at least have divided our feelings, which Shakespeare has attached almost entirely to Lear and Cordelia, in their parental and filial capacities, thereby producing passages infinitely more tragick than the embraces of Cordelia and the ragged Edgar. Es ist in der That nicht leicht einzusehn, wie durch Edgar's und Cordelia's Liebe die Tragik der Handlung erhöht werden sollte. Bei Shakespeare ist Cordelia unschuldig, oder wenigstens lädt sie nur eine geringe Schuld auf sich, indem sie auf Lear's verwunderte Frage:

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eine Antwort giebt, die eine gewisse Rechthaberei durchfühlen läßt: I love your Majesty

According to my bond, no more nor less.

Aber eben dieser rechthaberische Ton entspringt aus ihrem festen Bewußtsein, daß ihre Liebe diejenige ihrer Schwestern in Wirklichkeit ebenso weit übertrifft, wie sie in Worten hinter ihr zurückbleibt. Wenn sie also verstoßen wird und später in Noth geräth, so ist unser Mitleid für sie unstreitig lebhafter und tiefer, als wenn sie bei Tate mit kalter Berechnung des Vaters Zorn reizt (I must tempt the chol'rick King) und so eine Schuld auf sich lädt, deren gerechte Strafe dann ihre

Verstoßung ist. Auch das Mitleid mit dem völlig schuldlosen Edgar ist durch Tate nicht vergrößert. Denn während ihn bei Shakespeare ein Unglück nach dem anderen befällt, so daß er schließlich in die verzweifelten Worte ausbricht:

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wird ihm bei Tate schon im dritten Akt ein süßer Trost zu Theil, indem er Cordelia im Walde trifft, sie umarmen und der Hüter ihres Schlafes werden darf.

Und was schließlich den letzten und nach Tate's Meinung wohl größten Vortheil anbetrifft, den seine Erfindung mit sich bringen soll, daß er nämlich, wie er mit nicht wenig Stolz sagt, auf diese Weise Gelegenheit gefunden habe, zwei neue Scenen zu dichten, die vom Publikum besser aufgenommen seien, als sie es verdient hätten, so dürfen wir wohl sagen, daß Tate's Theaterpublikum nicht das maßgebende Urtheil zu sprechen berufen war; wir werden uns eher dem Urtheile Colman's anschließen dürfen, der bei Tate's Beurtheilung meistens das rechte Wort findet: (The embraces of Cordelia and the ragged Edgar) would have appeared too ridiculous for representation, had they not been mixed and incorporated with some of the finest scenes of Shakespeare. Von Shakespeare'schem Geist ist jedenfalls in diesen Scenen nicht viel zu finden, und wir dürfen vielleicht auch an den nicht eben neuen Gedanken erinnern, dem René Doumic jüngst1) die Fassung gab: Or, il se peut que la foule aille toujours de préférence à ce qui a été écrit pour elle, et peut-être qu' en art une certaine médiocrité est la condition essentielle des gros succès.

Eine gewisse Entschuldigung für die Einführung des Liebesverhältnisses mag Tate in dem Geschmacke seiner Zeit finden. Sagt doch Colman in seiner herben Kritik selber, daß in den Tagen Tate's die Liebe die Seele der Tragödie wie der Komödie gewesen sei. Ausdrücklich bestätigt das Dryden, in dem die Richtung des Restaurationszeitalters ihre Verkörperung findet. In einem Essay upon Heroic Plays sagt er, Liebe und Heldenthum müßten nothwendig Gegenstand der heroischen Tragödie sein. Nach diesem Grundsatz, der sich unschwer auf französischen Einfluß zurückführen läßt, sind alle zeitgenössischen Dramen verfaßt, und Tate ist nicht der einzige, der die Liebe in ein Shakespeare'sches Drama eingeführt hat: Mielck

1) Annales politiques et littéraires, 15. Nov. 1896.

führt in seiner Dissertation1) noch mehrere Fälle an. Buckingham macht in seinem Julius Cæsar aus der schönen Scene, wo Portia um das Vertrauen des Brutus wirbt, eine fade Liebesscene nach französischem Geschmack. Thomas Shadwell gesellt in seiner Bearbeitung des Timon von Athen 2) dem Titelhelden ein Mädchen bei, das ihm in treuer Liebe in die Verbannung folgt. Freilich das «Galant-Phrasenhafte», von dem Mielck spricht, war im Lear nicht recht am Platze und lag auch nicht in Tate's Absicht.

Dem Zuge der Zeit kommt Tate noch weiter entgegen, indem er dem Charakter Edmund's eine neue Seite hinzufügt, über welche Colman sich so äußert: Tate was so devoted to intrigue, that he has not only given Edmund a passion for Cordelia, but has injudiciously amplified on his criminal commerce with Goneril and Regan, which is the most disgusting part of the original.

«Das England der Restauration ist von einer Verderbtheit und Liederlichkeit, daß man fast versucht sein möchte, das Frankreich Ludwig's XIV. und der Regentschaft im Vergleiche mit ihm beneidenswerth unschuldig zu nennen», sagt Hettner. 3) Naturgemäß übertrug sich die Korruption im Leben auch auf die Bühne, mit um so stärkerer Gewalt, als sich hier eine Reaktion geltend machte gegen die gewaltsame Unterdrückung aller Lustbarkeiten durch die Puritaner, die eine vollständige oder doch beinahe vollständige Schließung der Theater durchgesetzt hatten. The artists corrupted the spectators, and the spectators the artists, till the turpitude of the drama became such as must astonish all who are not aware that extreme relaxation is the natural effect of extreme restraint, and that an age of hypocrisy is, in the regular course of things, followed by an age of impudence. (Macaulay, History of England I, S. 395.) Einer solchen Zeit zu Liebe schrieb Tate Edmund's Monolog: III, 159-172, in dem dieser beschließt, zwei Banditen der Cordelia nachzusenden, die sie im Walde festhalten sollen, bis er komme, um wie Jupiter diese Semele im Sturm zu genießen; schrieb er die Liebesscene in der Grotte (V, 1) und die schon (S. 191) citierten, in Edmund's Monolog (V, 2) eingefügten Verse: Cornwall is dead u. s. w. Auch der Königinnen Streit um den sterbenden Edmund ist in demselben Sinne von Tate dargestellt. Und überall, wo sich nur die Gelegenheit bietet, giebt er dem Verlangen des Publikums nach Sinnenkitzel

1) A. a. O. S. 43.

2) Timon of Athens, the Manhater, 1678.

3) A. a. O. S. 107.

Jahrbuch XXXIII.

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Raum. Wir verstehn wohl, wie Colman, durch solche Gemeinheiten angeekelt, dazu kam, das Liebesverhältniß zwischen den beiden Königinnen und Edmund, das ihm ohnehin schon disgusting erschien, noch knapper darzustellen, als Shakespeare es giebt, so daß bei ihm nur das Allernothwendigste gesagt wird, so weit es zur Motivierung des Zweikampfs zwischen Edmund und Edgar nicht entbehrlich war.

Im Uebrigen ist wohl hier der Platz, darauf hinzuweisen, daß Tate offenbar bestrebt ist, die Gloster-Tragödie im Lear der Haupthandlung an Ausdehnung und Gewicht möglichst gleich zu machen, und beide Handlungen mehr als bei Shakespeare mit einander zu verweben. Man mag mit Kilian 1) der Ansicht sein, daß die GlosterScene nicht als Episode zu betrachten ist, sondern als eine der LearTragödie gleichberechtigte Nebenhandlung; immerhin bleibt sie bei Shakespeare Nebenhandlung, die auf den Gang der Haupthandlung einen wesentlich bestimmenden Einfluß nicht ausübt. Diesen Gesichtspunkt läßt auch Colman in die erste Reihe treten und beschränkt die Nebenhandlung so viel wie möglich, in ausdrücklichem Gegensatze zu Tate; denn, sagt er in der schon citierten Stelle, selbst wenn die Scenen, in denen Lear nicht vorkommt, nicht so albern und langweilig wären, wie sie bei Tate erscheinen, sondern wenn sie affectingly geschrieben wären, so würden sie das Interesse des Zuschauers getheilt haben.

Die dritte wesentliche Aenderung Tate's ist der glückliche Schluß. Darüber sagt er in seinem Vorwort: This Method (nämlich die Einführung des Liebesverhältnisses) necessarily threw me on making the Tale conclude in a Success to the innocent distrest Persons. Otherwise I must have incumber'd the Stage with dead Bodies, which conduct makes many Tragedies conclude with unseasonable Jests. Zwar habe er sich anfangs gescheut, eine so «kühne» Aenderung vorzunehmen, aber die freundliche Aufnahme seitens des Publikums habe ihm seine Bedenken genommen. Außerdem hatte er wieder die von ihm selbst citierte Autorität seines großen Freundes und Gönners Dryden auf seiner Seite, der in der Vorrede zum Spanish Friar die Theorie aufgestellt hatte, daß es eines wahren Dichters Kraft erfordere, eine Tragödie zum glücklichen Ausgang zu führen: Neither is it of so trivial an Undertaking to make a Tragedy end happily, for 'tis more difficult to save than 'tis to kill. The Dagger and Cup of Poison are always in Readiness; but to bring the Action

1) Jahrbuch XXIX/XXX, S. 161.

to the last Extremity, and then with probable means to recover all, will require the Art and Judgement of a Writer and cost him many a Pang in the Performance.

Denselben Standpunkt vertritt auch, speziell für den King Lear, Dr. Johnson1): A play, in which the wicked prosper, and the virtuous miscarry, may doubtless be good, because it is a just representation of the common events of human life; but, since all reasonable beings naturally love justice, I cannot easily be persuaded that the observation of justice makes a play worse; or that if other excellencies are equal, the audience will not always rise better pleased from the final triumph of persecuted virtue. In the present case the publick has decided. Cordelia from the times of Tate has always retired with victory and felicity. And, if my sensations could add anything to the general suffrage, I may relate that I was many years ago so shocked by Cordelia's death, that I know not whether I have endured to read again the last scenes of the play, till I undertook to revise them as an Editor.

Und noch mehr: Colman, der die beiden ersten Aenderungen Tate's so scharf kritisiert und verwirft, findet, daß Tate mit diesem glücklichen Schluß das Original verbessert hat und führt selber Tate's Aenderung in seine Bearbeitung ein. Ja, ein moderner ShakespeareForscher, Rümelin2), steht auf Tate's Seite, wenn er sagt: «Von den eilf Hauptpersonen des Stückes bleiben nur drei am Leben! Die ganze Handlung im König Lear hat den Charakter eines Kindermärchens von der schauerlichsten Sorte .. Wir sehen also, daß nicht allein das Theaterpublikum in Tate's Tagen die von Addison so genannte chimerical notion of poetical justice hatte, welche verlangt, daß die Tugend triumphiert und das Laster zu Boden geworfen wird.

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Wenn Tate in seiner Rechtfertigung des glücklichen Schlusses noch auf die unseasonable jests hinweist, welche die Ueberhäufung der Bühne mit Leichnamen in manchen Tragödien wir dürfen wohl besonders an Hamlet denken mit sich bringe, so scheint das auf böse Erfahrungen zu deuten, kann aber als stichhaltiger Grund für die Aenderung nicht anerkannt werden.

Für die vierte seiner Hauptänderungen, die Streichung des Narren, bringt Tate in seiner Vorrede kein Motiv bei. Colman, der auch den Narren fortläßt, sagt nur, daß er nach reiflichem Ueberlegen zu

1) Vgl. Furness, a. a. O. S. 419.

2) Shakespeare-Studien. Stuttgart, 1866. S. 62.

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