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Das römische Weltreich wäre, im fünften Jahrhunderte, nicht gestürzt worden, wenn nicht die sittliche Entartung der Römerwelt mit der rohen Jugendkraft der andringenden Horden im grellsten Kontraste gestanden hätte! Zwei Millionen Euros påer wären nicht im Zeitalter der Kreuzzüge gefallen, wenn nicht der Geist des eilften und zwölften Jahrhunderts diese Züge begünstigt hätte! Die Kirchenverbesserung und der Sieg der kirchlichen Freiheit wären ohne die charaktervolle Bewes gung des Volkes im sechszehnten Jahrhunderte, und eben so wäre der Sturz des veralteten Feudalsystems in vielen euros päischen Reichen seit 1789 ohne diesen Geist und Charakter des Zeitalters unmöglich gewesen!

Allein bei dem sichern Blicke auf dieses innere und aus Bere politische Leben der Völker und Staaten muß der Gez schichtforscher und Geschichtschreiber nicht blos die Forts schritte der Völker und Staaten in der Entwickelung und Fortbildung dieses Lebens auffassen und schildern; auch das System der Reaction, das, wie ein finsterer Geist, seit 300 Jahren, durch die einzelnen europäischen Völker und ihre Ka binette hindurchschreitet, und das in dem äußern politischen Leben der Staaten und Reiche oft die furchtbarsten Erschei nungen herbeiführt, muß ebenfalls nach seiner Ankündigung ers kannt und mit historischer Treue gezeichnet werden. Dieses System der Reaction führte den Erzbischoff Berthold von Mainz im Jahre 1486 zur Einführung der Censur, um den Aufschwung des menschlichen Geistes durch die, wenige Jahr: zehnte vorher erfundene, Buchdruckerkunst zu lähmen; dieses System der Reaction wirkte durch die Inquisition; durch die Stiftung des Jesuiterordens; dürch die Errichtung der päpstl: chen Nunciaturen; durch Alba's Blutscenen in den Niederlan den; es wirkte in der Aufhebung des Edicts von Nantes; in der Politik der in Großbritannien wiederhergestellten Stuarts bis auf Wilhelm's 3. Thronbesteigung; in der Unterdrückung des frischen Städte und Bürgergeistes seit den Zeiten des 30jährigen Krieges, besonders durch die stehenden Heere; in dem Aristokratismus zu Venedig, Genua und Bern; in der scheuslichen Erfindung der geheimen Polizei; in den Macht: schlägen der im 18ten Jahrhunderte sich ausbildenden Kabinets: politik; in dem hartnäckigen Festhalten an allen Formen des Feudalsystems, und in unzähligen Erscheinungen, wodurch das innere Leben der Völker niedergehalten und unterdrückt, und so das frühzeitige Veralten manches europäischen Volkes und mancher Staatsform herbeigeführt ward. Wie unvollkom men würde die Geschichte der europäischen Menschheit im Laufe

der drei lehten Jahrhunderte erscheinen, wenn die verderbli chen Einflüsse dieses Reactionssystems, und der in vielen Staaz ten und Kabinetten festgehaltenen retrograden Politik verz schwiegen oder verschleiert würden! —

Faßt man aber bei jedem europäischen Volke und Reiche der drei leßten Jahrhunderte alle diese Radien seines cigen: thümlichen politischen innern und äußern Lebens in Einem Brennpunkte zusammen, und entwickelt aus der Stellung jedes einzelnen Staates in der Mitte des europäischen Staas tensystems die mannigfaltigen Veränderungen des politiz schen Gleichgewichts überhaupt; so verdient eine solche Behandlung und Darstellung der Geschichte wohl die Benens nung: einer Geschichte aus dem Standpuncte der Poliz tik. Mag der Geist und Charakter dieser Behandlung der Geschichte den Historikern der alten Schule noch so wenig einleuchten, weil freilich dadurch der Mechanismus ihrer hers gebrachten Namen: und Zahlen: Nomenclatur bedroht, und die ihnen geläufige Form ihrer historischen Nuzanwendungen in die Klasse von Hübner's biblischen Historien gebracht wird; so dürfte doch ihre vor 25 Jahren erhobene Wehklage über die damals von Einigen versuchte Anwendung der Philosophie auf die Geschichte durchaus nicht auf diese Behandlung der Ge schichte aus dem Standpuncte der Politik anwendbar seyn. Denn hier sollen die Thatsachen der Geschichte nicht entstellt, wohl aber anders gestellt; hier soll der Kreis der Weltbe: gebenheiten nicht nach Ideen construirt, wohl aber die ungeheure Masse der Thatsachen nach politischen Ideen geord: net werden, damit man das Unbedeutende nicht mit dem Wich: tigen verwechsele; nicht über der Jagd nach Mikrologicen das, was über das Schicksal von Millionen in einzelnen Zeiträumen entschied, aus dem Blicke verliere; und, — so wie die verz wandten Wissenschaften der Statistik, der Naturgeschichte' u. a. durch zweckmäßige innere Anordnung ihrer Massen zu einem systematischen Charakter erhoben worden sind, – eben so auch der Geschichte das Gepräge systematischer Haltung aufdrücke, und namentlich die Geschichte der drei leßten Jahrhunderte zu einer in sich nothwendig verbundenen Geschichte des europäischen Staatensystems ausbilde, wo jeder ein: zelne Staat, als nothwendiges Glied des Ganzen, theils nach der Individualität seines innern und äußern politischen Lebens, theils nach seiner Stellung und Wechselwirkung im ganzen Systeme, des politischen Gleichgewichts erscheint. Mögen, bei dieser Darstellung, die Mächte des ersten und zweiten politischen Ranges immer im Vordergrunde der Welt:

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begebenheiten stehen; so wird doch die politische Wichtigkeit der Staaten des dritten und vierten politischen Ranges darüber nicht vernachlässigt werden, und der Wechsel einzelner euroz päischer Staaten in Hinsicht ihres politischen Ranges wird nur aus diesem Standpuncte nach seinen zureichenden Ursachen klar werden. Denn so wird z. B. die sorgfältige Entwicke lung des innern Lebens es zeigen, warum der Freistaat der Niederlande nach dem Aachner Frieden von 1748, besonders aber nach dem Pariser Frieden von 1783, zu einem niederern politischen Range gehört, als da Ruyter und Tromp die See macht Großbritanniens bedrohten; und eben so wird dieselbe Entwickelung es zeigen, wie Schweden und Polen, Spar nien und Portugal von ihrer frühern politischen Höhe herz abstiegen, während Preußen seit den Zeiten des großen Chur. fürsten, Rußland seit Peter's 1. Tagen, und Großbritan nien seit der Thronbesteigung Wilhelm's 3. vom niedern politis schen Range sich zu Mächten des ersten politischen Ranges, durch die gesteigerte Kraft ihres innern politischen Lebens, ems porarbeiteten!

So wichtige Parthieen also auch die schon von den meisten neuern Historikern, am Eingange der drei lehten Jahrhunderte, gewürdigten großen Begebenheiten: der Entdeckung des vierten Erdtheils, des aufgefundenen neuen Weges nach Ostindien, der dadurch begründeten Kolonialverhältnisse, des lebhaftern Gebrau ches des Schießpulvers seit dem Hussitenkriege, der Erfindung und weitern Verbreitung der Buchdruckerkunst, und die Ans deutungen über die Verschiedenheit der monarchischen und re publikanischen Regierungsform nach allen ihren mannigfaltigen. Verzweigungen in constitutionellen und despotischen Monar chieen, und in demokratischen und aristokratischen Freistaaten bilden mögen; so reichen sie doch nicht aus zur vollendeten Durchführung einer politischen Geschichte nach den beiden aufgestellten Grundideen des innern und des äußern politi: schen Lebens. Denn nicht eher wird die Geschichte der jüngern europäischen Menschheit die gesteigerten Forderungen unsers Zeitalters an den Geschichtschreiber völlig befriedigen, bis nicht eine Meisterhand, wie die eines Heeren, Luden oder anz derer, die, wie sie, mit tiefer historischer Kunde den politiz schen Scharfblick verbinden, das, was hier im Umrisse anges deutet ward, in einer vollendeten historischen Form gleichmäs fig durchführt.

Den Forderungen, die wir hier aufgestellt haben, hat aber das vorliegende Werk des Professors Hasse in vielfacher Hinsicht Genüge geleistet. Es ist mit sicherem politischen Geiste

und Tacte geschrieben; durchgehends stehen bei ihm die Vd 1ter, nach der gewaltigen Kraft ihres innern Lebens und nach ihren gelungenen oder mißlungenen Versuchen in der freien Entwickelung dieses Lebens, im Vordergrunde der Darstellung; durchgehends strebt er darnach, ohne Vernachlässigung des Des tails, die Hauptbegebenheiten, an welchen das innere und äußere politische Leben der Völker und Staaten erkannt wird, mit Bestimmtheit hervorzuheben; überall berücksichtigt er neben der physischen, auch die intellectuelle und moralische Kraft der Völker und ihrer Regierungen; durchgehends herrscht in seiner Darstellung die Entwickelung des gesellschaftlichen Zustandes, nach den wesentlichen Bestandtheilen desselben in den gegenseiz tigen Verhältnissen der aus dem Mittelalter fortdauernden Feus dalstände und des sich zwischen Adel und Leibeigenen emporhe Benden und zur politischen Freiheit gelangenden dritten Stan: des, vor; durchgehends vergegenwärtigt er das mächtige Walten des Zeitgeistes in der Fortbildung der kirchlichen und bürgerliz chen Gesellschaftsformen und des Kampfes um diese Fortbil dung, so wie des Kampfes zwischen der Kirche und dem Staate bis zur errungenen fedhlichen Harmonie zwischen beiden in mehs rern politisch wiedergebohrnen europäischen Reichen; überall leitet ihn, bei den Schilderungen der reichsten Mannigfaltigs teit in den Kraftäußerungen der Völker, die Idee der Ein heit, in welcher Recht, Religion, Sitte und Volksthümlich: keit zu Einem Ganzen verschmelzen; und überall trägt seine stylistische Darstellung, bis auf kleinere Unvollkommenheiten, das Gepräge einer scharfen Feile, der historischen Würde und der lebendigsten Versinnlichung.

Der Verfasser, welcher das, was er den Schriften Hee: ren's, Eichhorn's u. a. verdankt, in der Vorrede offen eins gesteht, suchte, nach S. VI, den tiefern Grund der bürgerlichen Gestaltung Europa's in dem Character und in der geis ftigen Bildung der verschiedenen Völker, und in ihrem Wechselleben unter einander, auf. Er ging dabei von der Ansicht aus, daß die sittliche Natur des europäischen Gesammtlebens, oder die Idee der Menschheit, deren Wesen Wahrheit und Recht ist, der Grund des Vdl: kerrechts, dieses aber wieder der Grund alles ins nern bürgerlichen Zusammenhanges und des âu: Bern politischen Gleichgewichts sey. Da nun, so fährt er fort, Wissenschaft und Kunst, Glaube und Sitte das geistige Vermögen der Völker ausmachen, auf def; sen Entwickelung die Klarheit des Bewußtseyns der sittli chen Natur ihres Wechsellebens beruht; da ferner ein solches

Bewußtseyn in dem Urtheile der öffentlichen Meinung sich offenbahrt; so mußten diese Hauptseiten in der geistigen Bildung der Völker besonders hervorgehoben und ihre Einflüsse auf das bürgerliche Leben gezeigt werden. - Bei dem Ilm: fange und dem Reichthume des Gegenstandes konnte der Verf. das Charakteristische oft nur andeuten. Er ließ daher auf ei nen kurzen Ueberblick dessen, was die Zeiträume von 1492 bis 1556, 1618, 1648, 1715, 1763 und 1799, in Hinsicht auf den Gesammtzustand Europa's wesentlich von einander trennt, die Hauptnationen folgen, welche auf das Schick: sal der Staaten vorzüglich einwirkten; dann stellte er die Hauptbegebenheiten auf, welche das Ganze äußerlich ge: stalteten, und drängte die einzelnen Thatsachen, welche in das Bild des ganzen Zeitraumes gehören, möglichst zusammen; endlich suchte er einen Ueberblick der geistigen Thätigkeit der gebildetern Völker in jedem Zeitraume zu geben, deren Einwirkung auf das Leben aber gewöhnlich erst in dem folgen: den sich zeigen ließ. Die Stellung der Nationen und Stag ten mußte in den verschiedenen Zeiträumen, nach ihrem grd: Bern oder mindern Zusammenhange mit dem Ganzen, verschie den seyn. Daher stehen nach dem Utrechter Frieden die Koloz nialmächte voran, und das nördliche Staatensystem ist von dem westlichen nicht (wie bei Heeren) getrennt, weil beide in den Hauptbegebenheiten sich verflechten. In der Uebersicht des liz terarischen Lebens sind in den ersten Zeiträumen nur die wichtigsten Namen, gleichsam die Keime des spätern Wirkens, angeführt. Je mehr aber dieses Leben sich entfaltete, und je mehr es auf die Gesellschaft einwirkte; desto reichhaltiger mußte die Darstellung werden.

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Wenn Recens. den Plan des Verf. auf diese Weise seiz nen Lesern mitgetheilt hat; so kommt es nun darauf an, daß Recens. sein Urtheil über die Ausführung desselben ausspreche. Bereits Eingangsweise hat Recens. bemerkt, daß er die Ausz führung im Ganzen für sehr gelungen hält; denn die überall hervorleuchtenden statistischen und nationalökonomischen Kennt nisse, welche den meisten Geschichtschreibern neuc rer Zeit abgehen, unterstüßen durchgehends die hdhere pos litische Idee, welche der Verf. festhält, und geben der Be: handlung der historischen Stoffe, oft selbst nur durch die neue Stellung derselben, das Gepräge der Eigenthümlichkeit. In diese lettere möchte denn Recens. auch zunächst das Hauptverdienst des Verf. sezen; denn nicht die Neuheit der aufgestellten Thatsachen, oder die Neuheit der gewonnenen Resultate, sondern die ganz aus der Individualität des Verf.

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