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europäischen Staatensysteme geführt ward, weil er alle Kämpfe im Innern der Monarchie mit gewaltiger Hand niederdrückte, und wie Frankreich, selbst unter den Stürmen der Revolution, durch die Wiedergeburt seines innern politischen Lebens vers mittelst einer repräsentativen Verfassung, zu einer politis schen Bedeutung sich erheben konnte, welche kein europäischer Diplomat vorher geahnet hatte; wie Englands Größe an seiz ne Constitution unauflöslich geknüpft ist; wie Nordamerika, im Innern gesetzmäßig geordnet, die sichere Bahn zu seiner politischen Größe unaufhaltbar verfolgt; wie aber auch, aus Mangel organischer Grundgesehe im Innern, Teutschland und Polen dem Sturme der Zeit unterlagen, und das osma: nische Reich als eine veraltete Staatsform erscheint, die sich nur durch die Eifersucht der übrigen europäischen Mächte, bei. ihrer kümmerlichen politischen Existenz, erhält. Aus demsel ben Grunde läßt es sich erklären, weshalb die Erkämpfung der religiösen und kirchlichen Freiheit im Anfange des Sechszehnten Jahrhunderts im innern Leben der Völker und Staaten, welche sich zur gereinigten Lehre bekannten, so durchs greifende Veränderungen bewirken, und, von innen heraus, die politische Macht Großbritanniens, der Niederlande, Schwedens, Preußens u. a. begründen konnte, wie in unsern Tagen die Erkämpfung der bürgerlichen und politischen Freiheit, in den Staaten und Reichen mit neuorganisirten Verfassungen, die politische Macht derselben um ein Großes erhöht und gestei: gert hat.

Denn fragen wir nach den Grundbedingungen des innern politischen Lebens; so ist zwar die geographische Lage des Landes, der Länderbestand selbst, und die Verbindung der einzelnen Völkerstamme, welche das Territorium eines Staates bewohnen, zu Einem politischen Ganzen nichts weni: ger als gleichgültig; und anders werden sich Binnenstaaten, ans ders an Meeren gelegne Reiche, anders werden sich Staaten mit Einer Million, anders Staaten mit 10 bis 20 Millionen Bevölkerung, anders werden sich Völker auf dem Areale von 500, anders auf dem Areale von 5000 Quadratmeilen, anders endlich werden sich germanische, anders slavische, und wieder anders finnische und mogolische Völkerstämme in ihrem innern Leben entwickeln. Allein die entscheidenden Bedingungen des innern politischen Lebens bleiben doch immer Verfas jung und Verwaltung. Ob nämlich ein rechtlicher Ber trag zwischen dem Regenten und dem Volke besteht; ob die Macht des Regenten gefeßlich durch eine Constitution bestimmt und beschränkt, oder ob sie unumschränkt und der Willkühr des

Regenten uud seiner Minister überlassen ist; ob den Repråsen: tanten des Volkes ein Antheil an der geseßgebenden Ge walt zusteht, oder nicht; ob noch die Fessel der Leibeigen schaft und der Eigenhörigkeit einen Theil des Volkes drückt; ob noch Feudalstånde, im Geiste des Mittelalters, in einer Prälaten, Ritterschafts- und Magistratsbank der Städte beste hen, oder ob alle Klaffen des Volkes durch freigewählte Res präsentanten nach ihren bürgerlichen Interessen vertreten werden; ob man diese Repräsentanten zu Einem politischen Körper verz einigt, oder ob man sie in zwei Kammern_spaltet; ob in den Stadt und Dorfgemeinden eine das frische Volksleben an: regende und erhaltende Municipalverfassung, mit dem Antheile der Einwohner an der Leitung ihrer Gemeindeangelegenheiten, besteht; ob man die Gleichheit vor dem Gesetze, die Gleichs heit bei der Anstellung zu allen Staatsämtern, die Gleichheit der Besteuerung, und die Gleichheit der Rechte des kirchlichen Kultus unumstößlich durch einen Grundvertrag ausgesprochen hat, oder nicht; ob man diesen Grundvertrag nach der Localverschie denheit der einzelnen Völker und Staaten in Hinsicht auf Urproduction, auf Gewerbsfleiß, Handel, geistige Kultur, Bildung, Sitte, Religion und öffentlichen Volksgeist gestaltete oder nicht; ob das Verhältniß der Kirche zum Staate nach dem einzig richtigen Territorialsysteme besteht, und das geistige Leben in Wissenschaft und Kunst genährt und bes fördert wird; ob man, in Hinsicht der Verwaltung, die vier einzelnen Hauptzweige derselben, die Justiz, die Poliz zei, die Finanzen und das Militair, unter sich selbst zum innern Gleichgewichte, nach den Bedürfnissen des Volkes und nach den Grundbestimmungen der Constitution, er hob; ob die Gerechtigkeitspflege öffentlich und mündlich, und durch Geschwornengerichte geleitet wird; ob die Polizei als alle Bedingungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Kultur und Wohlfahrt umschließend organisirt erscheint; ob die Finanzen durch ein jährliches Budget geordnet, die Staatsschulden sicher fundirt, der Nationalkredit hinreichend gedeckt, das Verhältniß der Domainen: und Regalieneinkünf te zu den Steuern genau beobachtet, und eben so die innern Verhältnisse der indirecten und directen Steuern gegen einans der nach nationalökonomischen Grundsäßen geregelt sind; ob die Militairmacht mit der Bevölkerung, der Besteuerung und dem Geiste und Grundcharakter des Volks im Ebenmaaße steht; dies alles, mit unzähligen aus diesen Hauptzügen hervorgehenden untergeordneten und von ihnen abhängigen Schatz tirungen, wird man sorgfältig würdigen und zu einer getreuen

Uebersicht verbinden müssen, wenn man das innere polítische Leben der Völker und Staaten gehörig würdigen will.

Nothwendig müssen, bei Anlegung dieses Maasstabes, alle diejenigen Geschichtsvorträge und Geschichtsbücher in ih rer grenzenlosen Erbärmlichkeit erscheinen, welche uns, — statt das innere politische Leben eines Volkes und Reiches in eis nem gegebenen Zeitraume nach einem solchen pragmatischen Zu: sammenhange zu vergegenwärtigen, und daraus das Steigen und Sinken, das Vorwärtsschreiten oder das Beralten der Völker und Staaten zu erklären, nichts weiter als eine Regentens geschichte, eine Hof und Kriegsgeschichte in trockenen Gerips pen, mit Namen, Jahrszahlen und dickleibiger Literatur vers bråmt, geben; als ob die Universalgeschichte, dieses treue Bild des vergangenen und lebenden Menschengeschlechts, gleichs sam mit dem Messer eines Prosectors der Anatomie geäzt, oder kleinlich zerseht, wie in einem chemischen Laboratorium, noch irgend ein Interesse für den denkenden Geist und für den, von den höchsten Angelegenheiten der Menschheit ergriffenen, Fors scher haben könnte! Gewiß, so lange die Geschichte nichts weis ter, als eine vertrocknete anatomische Gerippenmasse für das Gedächtniß bleibt; so lange wird auch das große, vollkräftige, lehr und warnungsreiche innere Leben der einzelnen Völker nicht in seiner höhern Beziehung erkannt, und die Geschichte dem wirklichen Leben immer mehr entfremdet, und dem auss gezeichneten Kopfe immer mehr verleidet werden!

Allein, nächst dem innern politischen Leben der Völker, Staaten und Reiche, muß auch das äußere politische Leben nach allen seinen Grundbedingungen und factischen Haupters scheinungen, wahr, treu und freimüthig hervorgehoben, und dadurch das Gesammtbild eines Volkes, nach seiner öffentlichen Ankündigung in einem gegebenen Zeitraume der Geschichte, mit Sicherheit vollendet werden.

Dieses außere politische Leben betrifft aber die Stek lung eines Volkes und Staates in der Mitte des europäischen Staatensystems, und seine Wechselwirkung mit allen an: dern gleichzeitigen Völkern und Staaten, theils nach der Art und Weise, wie dasselbe nach außen auf seine Nachbarn und auf entferntere Völker und Staaten wirkt, theils nach der Eins wirkung der auswärtigen Völker und Reiche auf die politis schen Schicksale des einzelnen Volkes und Staates. Wenn bei dieser Darstellung des äußern politischen Lebens die Eintheilung der europäischen Staaten und Mächte des ersten, zweiten, dritten und vierten politischen Ranges, und die völlige und unbedingte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit eines Volkes,

im Gegensahe der, zu einem Staatenbunde gehörenden, Staaten (wie in Teutschland) nothwendig und zuerst in Ans schlag kommen muß, weil die politische Stellung der einzel nen europäischen Staaten und Mächte in Hinsicht auf das zwi: schen ihnen bestehende politische Gleichgewicht nur darnach bestimmt werden kann; so sind doch die besondern, zwischen den verschiednen Völkern und Staaten bestehenden, Bertrå se, ihre Bündnisse, ihre Kriege, ihre Friedensschlüsse, ih: re Handelsconventionen, und die Art und Weise, wie sie ge: genseitig durch Gesandte repräsentirt werden, ihre Neutraliz tátserklärungen, ihre Schiffahrtsacten u. s. w. die Hauptge: genstände, auf welche es im Einzelnen bei der sorgfältigen Entwickelung des äußern politischen Lebens ankommt.

Schon nach diesen kurzen Andeutungen erhellt, wie ganz anders die Bertheilung des historischen Stoffes in der Geschichte der europäischen Völker und Staaten geschehen müsse, wenn man das innere und äußere politische Leben dersel ben genau unterscheidet, als wenn man, entweder blos in chronologischer mechanischer Folge, oder überhaupt ohne irgend eine leitende Idee, die Gesammtheit der Begebenheiten will: kührlich in Paragraphen zusammendrångt; und wie ganz anders auch die stylistische Form der Geschichte sich gestalten müsse, · wenn ein Geist voll politischen Blickes und ergriffen von dem mächtigen Leben, das in der Geschichte der europäischen Menschheit herrscht, über die mannigfaltigen einzelnen historischen Massen waltet, und mit der Kraft der gebildeten Sprache darüber gebietet. Sind aber die aufgestellten Vordersähe rich tig; so ergiebt sich auch daraus das Resultat: daß nur durch die Darstellung beider, des innern und des äußern Lebens, die große Aufgabe der Geschichte gelöset, und der pragmatische Zusammenhang in der Reihe der einzelnen Beges benheiten ausgemittelt werden könne. Es wird daher weder derjenige befriedigen, der bloß das innere Leben der Völ ker und Staaten schildert; noch wird derjenige die historiz sche Wichtigkeit eines Volkes und Reiches erschöpfend zeichnen, welcher ausschließend bei dem äußern Leben verweilt. Denn beide zusammen bilden das eigentliche politische Leben, doch so, daß das äußere Leben von der Kraft und Gesundheit des innern abhångt, nicht aber umgekehrt. So wie die aufge: dunsenen, waffersüchtigen Körper, deren innere Lebenskraft erschüttert ist, der Auflösung entgegeneilen; so auch die Ric fenstaaten der Geschichte, die nur nach außen sich erweitern, ohne sich im Innern zu organisiren. So sanken die Weltreis che der Perser, der Macedonier, der Römer, der Araber,

der Mogolen. Dagegen zeigt die Geschichte, daß selbst dem Umfange und der Bevölkerungszahl nach kleinere Völker und Staaten, so lange das innere Volksleben kräftig wirkt und zeitgemäß gestaltet ist, nach außen eine bedeutende und glanzvolle Rolle spielen. Unwillkührlich gedenkt man hier an die Schweiz, an die Niederlande, an das durch die Kirchen: verbesserung wiedergebohrne Sachsen unter dem heldenmüthigen Morih, an Brandenburg unter dem großen Churfürsten, Schweden unter Gustav Wasa und Gustav Adolph, an Bes nedig unter einigen seiner großen Dogen, und an Nordamerika.

an

Daraus ergiebt sich denn von selbst, wie einseitig dies jenigen neuern Historiker verfuhren, welche, obgleich ergriffen von dem guten Geiste, die Geschichte nach politischen Grundi: deen darzustellen, dennoch blos das außere Leben der Völker und Reiche schilderten, und kaum mit wenigen Worten bei der Grundbedingung desselben, bei dem innern Leben, verweilten; oder die, durch glanzvolle Regenteneigenschaften geblendet, über der Schilderung der Regenten das Volk, und dessen lebenss kräftige Ankündigung, so wie seine Fort und Rückschritte zu würdigen vergaßen, und dann natürlich nicht die wahren Gründe der wichtigsten welthistorischen Ereignisse nachzuweisen vermochten. Denn wie scharf contrastirt das französische Volk während der Regierung Ludwig's 14. mit der glanzvollen pers sönlichen Haltung dieses Königs in der Mitte des europäischen Staatensystems; und doch läßt sich die politische Ohnmacht Frankreichs unter Ludwig 15. und 16. nur aus dem Sin ken des Volksgeistes während der sultanischen Regierung des hochgefeierten Ludwig's 14. erklären! Eben so würde das Vers schwinden Polens mit 14 Millionen Menschen aus der Reihe der europäischen Mächte, der unbetrauerte Untergang Venedig's und Genua's, und der Umsturz des tausendjährigen teutschen Reiches, als äußere politische Erscheinung, höchst råthselhaft seyn, wenn nicht die veraltete und fehlerhafte innere Orgas nisation dieser Reiche und Staaten die Dunkelheit des histo rischen Räthsels lösete!

So wie aber aus dem innern und äußern Leben zugleich bei jedem europäischen Volke und Reiche sein politisches Schicksal, seine Stellung in der Mitte des europäischen Staatenfy: stems, und sein Antheil an dem Aufrechthalten des politis schen Gleichgewichts hervorgehet; so entwickelt sich auch, in jedem Zeiträume der Geschichte, der ganze Geist und Chai rakter eines Zeitalters aus der Ankündigung des innern und des äußern Lebens der wichtigsten, und im Vordergrun de der Weltbegebenheiten stehenden, Völker und Staaten.

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