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Daß der Corrector überhaupt in einer engen Beziehung zum Theater gestanden, ist eine Thatsache, die sich dem Leser auf jeder Seite dieses Buches auförängen wird: seine durchgehende Berücksichtigung der scenischen Bedürfnisse, die sich in eben diesen, mehr auf das Bedürfniß von Schauspielern und Zuschauern berechneten, als für den Geist des Lesers nöthigen Bühnenweisungen ausdrückt, zeigt sich auch in den Abkürzungen, die er sich an Stellen erlaubt, welche ihm für den raschen Gang einer Aufführung entbehrlich scheinen. *) Solche Stellen streicht er einfach durch, mit starken deutlichen Strichen. Zu gleicher Zeit aber unterzieht er auch diese gestrichenen Stellen nichts desto weniger seiner Einzelrevision, corrigirt auch in ihnen die Druckfehler, verbessert die Lesarten. Dies Verfahren ist von Interesse; es leitet zu weiteren Schlüssen; es zeigt, daß der Corrector bei seiner Arbeit weder das Bedürfniß künftiger Aufführungen der shakespeareschen Dramen als alleinigen Zweck vor Augen, noch die Erinnerung früherer Aufführungen als alleiniges kritisches Hülfsmittel zur Seite hatte. Die Natur seiner ssonstigen, Randbemerkungen bestätigt das. Bühnenweisungen kann ein fleißiger Theaterbesucher und aufmerksamer Beobachter im Gedächtniß behalten, zu Hause notiren; aber wer eine solche Reihe neuer Lesarten, neuer Reime, neuer Verse giebt, wie der Corrector, hat andere Quellen nöthig, als den raschen Vortrag auf der Bühne, andere Hülfsmittel, als sein Gedächtniß. Welcher Art aber diese andern Hülfsmittel des Correctors waren, ist schlechterdings unbekannt und wird sich schwerlich ermitteln lassen. Es ist sogar unsicher, ob er die ersten Ausgaben der shakespeare'schen Dramen Quartausgaben einzelner Dramen, von verschiedenen Jahren, und die erste Gesammtausgabe, Folio von 1623 — bei seiner Arbeit benutt hat; an manchen Stellen verbessert er die falsche Lesart seiner Folio in eine richtige, die mit der jener ersten Folio stimmt; an manchen Stellen, wo beide Folios eine unrichtige Lesart haben, stimmt seine Verbesserung mit der richtigeren Lesart einer oder mehrer Quartausgaben überein; und wiederum an andern Stellen, häufig ganz unmittelbar neben jenen, ergänzt er Lücken, berichtigt Fehler seiner Folio nicht aus der andern Folio oder den Quartos, hat er Varianten, wo beide, Folios und Quartos unter einander übereinstimmen, oder, wo die einen von den andern abweichen, nimmt er weder die Lesart der einen noch der andern, sondern eine neue dritte. So ste= hen bei dieser Frage nur die beiden Punkte fest, daß der Corrector, wenn er die alten Ausgaben zugezogen hat, sie nicht ausreichend benutt hat — und auf diesen Punkt werden wir zurückkommen müssen- und daß ihm außer diesen, uns noch jezt zugänglichen Quellen noch andere offen gestanden haben müssen, von denen uns keine Spur mehr ge= blieben ist.

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Wenn nämlich seine neuen Lesarten, Reime, Verse etwas Anderes sind, als seine eigene Arbeit, etwas mehr, als bloße Erzeugnisse seiner Erfindung, wenn's hoch kommt, seines Scharfsinns. Das aber geht über die Frage nach der äußeren Stellung und Berechtigung des Correctors hinaus; wir treten damit in die Untersuchung ein über die innere Berechtigung und den kritischen Werth seiner Verbesserungen. Hier nöthigt uns die Ausdehnung, welche die literarische Polemik gegen Collier's Werk bereits gewonnen

*) Wie Collier in der Einleitung seines Buches angiebt, ist nur ein einziges Drama, Antonius und Cleopatra, frei von solchen Abkürzungen des Correctors; nach Ausweis aber des Buches selbst sind noch zehn andere Dramen Die beiden Veroneser, Die lustigen Weiber von Windsor, Maaß für Maaß, Viel Lärmen um Nichts, Was Ihr wollt, König Johann, Heinrich VI., dritter Theil, Julius Cäsar, Lear und Cymbeline ohne alle Streichungen; entweder irrt sich also Collier in der Vorrede oder er hat im Laufe des Werkes die Stellen, die der Corrector gestrichen hat, nicht vollständig angegeben. Auch in den eben nicht aufgeführten Dramen streicht der Corrector durchaus nicht immer aus Rücksichten auf die Abkürzung der scenischen Darstellung; oft find es nur einige, für die Länge eines Drama's ganz unerheblich wenige Verse, die er streicht.

hat, den bisherigen ruhigen Gang der Darstellung zu verlassen, in die Erörterungen der Gegner einzugehen, ihre Einwürfe in unsere Untersuchung hineinzuziehen, und so durch Streit und Abwehr den Weg zu festem Resultate zu gewinnen.

Namen und Schriften der Gegner find bereits oben genannt. Auch die verschiedene Tendenz ihrer Polemik ist dabei angedeutet. Dyce und Knight find die vorsichtigeren, maßvolleren; ihre Schriften haben den Vorzug der Kürze und Verständigkeit; sie heben nur einzelne Aenderungen des Correctors heraus und kritisiren sie, geben ihre Zustimmung oder ihre Zweifel oder ihre Verwerfung; im Ganzen warnen sie vor übereilter Annahme der neuen Lesarten, erkennen in ihnen schäßbares Material, sprechen eine unbedingte Autorität dem Corrector entschieden ab. Anders Singer und Delius. Beide schreiben nicht Kritiken, sondern Pamphlete; Singer ein persönliches gegen Collier, Delius ein literarisches gegen des Correctors Lesarten. Die Schrift Singers, Fortseßung, wie es scheint, einer persönlich erbitterten Fehde, hat hauptsächlich den Zweck, gegen Collier den Verdacht einer Fälschung zu verbreiten; mit wie schlechtem Erfolge, ist bereits oben gesagt. Was Singer sonst zur Sache vorbringt, ist meistens unhaltbar, oberflächlich, unverständig (Proben seiner Kritik f. Anmerkung 1 und 2 zu Coriolan, S. 403 flgg., und Anmerkung 8 zu Hamlet, S. 490); wo er Recht hat, ist's weniger sein Verdienst, als des Correctors Schuld. Damit muß es über die englischen Streitschriften genug sein; ihre Polemik faßt sich nicht unter allgemeinere Gesichtspunkte und Kategorien zusammen, die sich in Kürze besprechen ließen, sondern betrifft eine so große Menge einzelner Stellen, daß es ein ermüdend weiter Weg sein würde, ihr nachzugehen; auch sind die betreffenden Schriften schwerlich dem deutschen Publikum so allgemein zugänglich, daß eine ausführliche Besprechung der Mühe lohnte.

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Eine genauere Berücksichtigung erfordert die Delius'sche Schrift. Sie ist auf deutsche Leser berechnet, trägt einen Namen, der mit den neueren Shakespeare-Studien in Deutschland vielfach verwebt ist, und tritt auch sonst mit Ansprüchen auf, die bei leicht bestimmbaren Lesern oft statt der Gründe gelten, so sehr auch die anspruchvolle Weise hier mit dem früheren Ruf nicht weniger als mit dem Werth der jeßigen Leistung in bösestem Mißverhältniß steht. Selten wohl hat sich ein Kenner so gründlich verfahren, wie hier Delius. Rasch und im ersten Eifer hingeworfen, trägt seine Schrift in nur zu vielen und zu deutlichen Zügen die Spuren der Uebereilung: in dem leichtfertig absprechenden Ton, der sich bisweilen gar noch weiter vergißt, in der Oberflächlichkeit der Prüfung, in der Verkehrtheit und Halbheit der Schlüsse. Indem wir wegen der näheren Begründung dieses Urtheils auf die Anmerkungen verweisen, in denen wir der Delius'schen Kritik, soweit sich das noch während des Druckes thun ließ, im Einzelnen gerecht geworden sind*),

*) Vergl. besonders: Kaufmann von Venedig, Anmerkung 7, Schluß; König Johann, Anmertung 5; König Heinrich IV., 2. Thl., Anmerkung 10; König Heinrich der Achte, Anmerkung 6; Coriolan, Anmerkung 1 und 2; Timon von Athen, Anmerkung 2.

Eine Wendung der Delius'schen Polemik sei hier noch hervorgehoben. Delius wirft dem Corrector leichthin wiederholt Unkenntniß des shakespeareschen Sprachgebrauchs vor; die allein habe ihn zu dieser oder jener Aenderung verleitet. Ist es aber schon an sich unwahrscheinlich, daß ein jüngerer Zeitgenoffe des Dichters, der vermuthlich seine sämmtlichen Dramen hat aufführen sehen, der an diesen Dramen das Interesse nahm, sich ihrer mühsamen Revision (und hie und da, wie Delius selbst zugiebt, doch auch mit Erfolg) zu unterziehen, die Sprache, den Wortgebrauch nämlich und gewisse sprachliche Wendungen seines Dichters nicht verstanden haben sollte, so fällt der Einwurf von Delius vollends zu Boden, wenn man sich einige der Stellen ausieht, an denen und wegen deren die Beschuldigung erhoben ist. In K. John (p. 228) ändert der Corrector,,modern invocation" in,,widow's invocation"; wie Delius sagt, weil er natürlich den Shakspere'schen Sinn von modern,,,trivial, gewöhnlich" nicht verstand." Vergl. damit p. 188, wo der Corrector in dem Verse

halten wir uns hier an einige allgemeine Gesichtspunkte, die Delius nicht ohne Geschick aufgeworfen hat und die für die vorliegende Hauptfrage von Bedeutung sind.

Der Corrector stimmt in manchen seiner Aenderungen mit den Conjecturen neuerer Kritiker überein. Das hat Collier selbst nicht allein im Allgemeinen ausgesprochen, oder gar erst auf die Nachweisung Anderer anerkannt, sondern fast durchgehends an jeder einzelnen Stelle besonders angemerkt. Delius hat den Nachweis vervollständigt und in die ser Vollständigkeit die Stellen gezählt. Danach sind es 329 Stellen, wo der Corrector mit neueren Kritikern zusammentrifft; da bieten seine Aenderungen also nichts Neues; ja, der größte Theil solcher Aenderungen ist bereits längst in den Text der shakespeare'schen Dramen allgemein recipirt. Aus diesem Sachverhalt nun folgert Delius: von der (etwaigen) Ausbeute aus des Correctors Varianten sind also diese 329 schon vorher bekannten Entdeckungen von vorn herein abzuziehen. Weiter geht Delius' Schlußfolgerung nicht. Aber die Schlußfolgerung selbst geht weiter; mit innerer Nothwendigkeit; sie hat eine zweite Seite und giebt da, in ihrer Ganzheit, ein völlig anderes Resultat. Das ist kein anderes als: In demselben Grade, wie jenes Zusammentreffen die Menge der Ausbeute aus des Correctors Arbeit verringert, steigert es den Werth des ganzen Restes. Eine kurze Erläuterung wird diese Behauptung rechtfertigen. Seit etwa 150 Jahren giebt es eine Shakespearekritik; von Rowe an, der in seiner Ausgabe von 1709 die ersten spärlichen Anfänge machte, ist bis auf den heutigen Tag eine ganze Reihe von Landsleuten des Dichters wir nennen nur Pope, Theobald, Hanmer, Warburton, Johnson, Steevens, Reed, Malone, Monk Mason, Dyce eifrig bemüht gewesen, den Text seiner Dramen kritisch zu säubern; viele ihrer Conjecturen sind als Verbesserungen anerkannt und in den Text aufgenommen. Da findet es sich, daß 329 dieser Verbesserungen, in deren Verdienst sich sonst ein Dußend etwa von tüchtigen Kritikern zu theilen haben, schon längst von einem einzigen Manne gemacht sind. Was das bedeutet, ist klar; unsere obige Behauptung ist gerechtfertigt: mit einer glänzendern Anerkennung, sei es der kritischen Hülfsmittel des Correctors, sei es seines Scharfsinns, hätte kein Gegner seine Polemik eröffnen können, als Delius mit seiner Zählung der 329 Stellen.

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Mit einem andern Einwande sucht Delius dann die Erfolge des Correctors noch weiter zu verringern. Neben der eben besprochenen Kategorie der 329 Stellen faßt er, unter einem andern gemeinschaftlichen Gesichtspunkte, eine Anzahl Stellen zusammen, bei denen er nicht blos die Richtigkeit der Textesänderungen des Correctors bestreitet, sondern auch die Nothwendigkeit jeder Aenderung überhaupt so in Abrede stellt, daß er sie in der alten Lesart unangetastet erhalten und danach erklärt wissen will. Dem zweifelhaften Ansehen des neu auftretenden Kritikers ohne Namen hält er die Autorität der ersten Folioausgabe, von 1623, als der authentischen Quelle für die Kritik des shakespeareschen Textes entgegen. Damit geht die Delius'sche Polemik über die Grenze des vorliegenden Streites hinaus; sie vertritt den Grundfaß einer bestimmten Schule unter den neueren Kritikern; sie berührt den Angelpunkt, um den sich die moderne ShakespeareKritik bewegt. Da ist es erlaubt und geboten, weiter auszuholen; wir werden auf die Geschichte des shakespeare'schen Textes zurückgehen und die Hauptpunkte daraus kurz zu„Her infinite cunning with her modern grace" zwei Worte verändert hat und das daneben stehende modern, welches hier ganz denselben Sinn hat wie oben, ruhig stehen läßt; da muß er es also verstanden haben. Ferner soll der Corrector, weil er in As you 1. it (p. 152) „our compact is urg'd in „heard“ ändert, die Bedeutung von to urge „vorhalten, zu Gemüthe führen" nicht verstanden haben, und in Richard III. (p. 344) läßt er es in derselben Bedeutung in einem Verse stehen, in dem er zwei andere Worte ändert. Das Stärkste dieser Art s. u. Cymbeline, Anmerkung 1; da ist es der Corrector, der eine gewisse,,shakespeare'sche Licenz," die er nach Delius gar nicht gekannt haben soll, erst in den shakespeare'schen Text einführt.

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sammenfassen müssen. Um was es sich dabei handelt, find nicht Meinungen, sondern Thatsachen so wenig neu, daß sie von Niemandem bestritten werden, den Gelehrten ausreichend bekannt sind; dem größeren Kreise der Shakespeare - Leser liegen sie meistens fern, werden daher Vielen willkommen sein, sind für Jeden, der sich bei der jeßigen Streitfrage ein festes Urtheil bilden will, sicher unentbehrlich.

Shakespeare schrieb für das Theater, nicht für den Buchhandel; für die Aufführung, nicht für den Druck. Er übergab seine Manuscripte der Direction der Schauspielergesellschaft, deren Mitglied er war; über die Bühne hinaus reichte seine Betheiligung an der Verbreitung seiner Werke nicht. Keines seiner Dramen hat er selbst herausgegeben; bei keiner Ausgabe irgend eines Drama's wird berichtet, daß er die Veröffentlichung genehmigt, veranlaßt, unterstüßt, überwacht habe. Er ließ es geschehen, daß Drucker und Verleger auf seinen Namen speculirten und Schauspiele, die nicht von ihm waren, noch bei seinen Lebzeiten und unter seinen Augen in London mit der Chiffre seines Namens (W. Sh.) als des Verfassers verkauften; er ließ es geschehen, daß noch während seines Lebens einzelne seiner Dramen in ganz verstümmelten, incorrecten Drucken, andere wieder in Ausgaben, die wenigstens von Correctheit weit entfernt sind, veröffentlicht wurden; er ließ es geschehen, daß die größere Zahl seiner Dramen bis zu seinem Tode ungedruckt blieb, und er starb, ohne für ihren Druck Vorkehrung getroffen zu haben.

Eine ähnliche Stellung, wie der Dichter selbst, nahmen während seines Lebens seine Freunde und Collegen, die Mitglieder und die Direction der Schauspielergesellschaft vom Blackfriars- und Globe- Theater, zu der Herausgabe seiner Dramen ein. Auch sie be= theiligten sich nicht daran. Das erklärt sich leicht. Der künstlerische Ruf sowohl als die Einnahme ihres Theaters gewannen dabei, wenn Shakespeare's Dramen in ihrem ausschließlichen Besize blieben und weder für das lesende Publikum noch für die gefährlichere Concurrenz der anderen Londoner Theater durch den Druck zugänglich wurden. Möglich - diese Vermuthung sei nachträglich ausgesprochen möglich, daß den Dichter, der ja ebenfalls an dem Gewinn des Theaters seinen Antheil hatte, dieselbe Rücksicht bestimmte, möglich auch, daß ihn ein ausdrückliches Contractsverhältniß, in der Stellung etwa eines heutigen Theaterdichters, der Direction gegenüber rechtlich gebunden hielt.

Einzelne von Shakespeare's Dramen sind troßdem, noch bei seinen Lebzeiten und während seines Aufenthaltes in London, im Druck und Buchhandel erschienen. Sehen wir von der Frage ab, inwieweit sie vollständig sind und der jeßigen Gestalt entsprechen, so zählen hieher: Titus Andronicus, Die lustigen Weiber von Windsor, Viel Lärmen um Nichts, Sommernachtstraum, Liebes Leid und Luft, Kaufmann von Venedig, Richard II., Heinrich IV., erster und zweiter Theil, Heinrich V., Richard III., Troilus und Cressida, Lear, Romeo und Julia, Hamlet; auch Othello kann noch hinzugerechnet werden, da die erste Ausgabe, wenn auch in eine andere Zeit (sie erschien erst 1622), doch ihrem Ursprunge und ihrem Charakter nach völlig in die Klasse von Shakespeareausgaben gehört, die uns jezt beschäftigt. Diese Dramen wurden jedes einzeln gedruckt; nach dem Format, in welchem sie erschienen, begreift man sie unter dem Gesammtnamen der Quartausgaben.

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Ueber ihren literarischen Charakter kann, nach dem eben Gesagten, kein Zweifel obwalten; sie sind sämmtlich als Nachdrücke zu betrachten. Unternehmende Buchhändler, durch den Erfolg der shakespeare'schen Schauspiele auf der Bühne angelockt — von Troilus und Cressida wurde sogar vor der Aufführung eine Ausgabe beabsichtigt suchten ihren Gewinn in der Veröffentlichung derselben. Auf irgend eine unerlaubte Weise setten sie sich in den Besitz des Textes. Entweder, so ist die allgemeine Vermuthung, schickten sie zu den Vorstellungen Schreiber, die bei wiederholtem Anhören die Worte notirten, oder sie erhielten von untergeordneten Mitgliedern des Theaterpersonals, die nicht zu der eigentlichen Schauspielergesellschaft gehörten und an dem Ertrage des Theaters keinen An

theil hatten, Abschriften der Bühnenmanuscripte, der einzelnen Rollen, ließen auch wohl Schauspieler ihre Rollen dictiren und machten so, wohl oder übel, das Drama druckfertig. Diesen ihren Ursprung tragen die Quartos deutlich genug zur Schau; als lockende Empfehlung zugleich und als Legitimation fügt die eine oder andere auf dem Titelblatt wohl zu dem Namen des Schauspiels den Zusat:,,wie es zu wiederholten Malen von des Lord Kammerherrn Schauspielern aufgeführt ist.“ Die Buchhändler müssen dabei ihre guten Geschäfte gemacht haben; ihre Nachdrücke erstrecken sich über die ganze Zeit von Shakespeare's dramatischer Laufbahn; die frühesten sind von 1597, die (relativ) lezte von 1615; fast in jedes der dazwischen liegenden Jahre fällt eine dieser Ausgaben; von manchen Dramen sind in einem Jahre, von andern in verschiedenen Jahren mehre erschienen; im Ganzen sind es, die späteren eingerechnet, einige vierzig. Diese Zahlen - beides der Jahrgänge und der Ausgaben beweisen zugleich, wie ungestört von Seiten des Dichters und der betreffenden Theaterdirection der Nachdruck getrieben wurde; in der That, nur zwei Male, gegen die erste Quarto von Hamlet und gegen den Versuch der ersten Ausgabe von Troilus und Cressida, scheinen Gegenmaßregeln, dort eine Berichtigung (s. die nächste Anm.), hier eine Sistirung eingetreten zu sein.

Der kritische Werth der Quartos ist ungleich. Einige sind flüchtige Skizzen, die nur ein sehr schadhaftes und lückenhaftes Bild des Originals geben; von manchen Dramen, die mehrmals herausgegeben sind, ist gleich die erste Ausgabe vollständiger und correcter, bei andern erst eine spätere. *) Eine kritische Beleuchtung der einzelnen Ausgaben liegt außer Bereich und Zweck unserer Untersuchung; im Allgemeinen steht das Urtheil über sie fest, daß die Beschaffenheit ihres Textes die Art ihrer Entstehung in keiner Weise verleugnet, daß sie als Originalausgaben nicht zu achten, aber als erste Ausgaben für die Texteskritik unentbehrlich sind.

Erst nach des Dichters Tode scheint die Kritik seiner Dichtungen in festerem Boden ficheren Fuß zu fassen. Sieben Jahre nachher, 1623, erscheint die erste Gesammtausgabe feiner (36) Dramen, die erste Folio. Sie trägt an ihrer Spize lauter mit dem Dichter befreundete Namen: seinem Gönner, dem Grafen Pembroke, ist sie gewidmet; von zwei Freunden und Collegen, Mitgliedern seiner Schauspielergesellschaft, John Heminge und Henry Condell, ist sie herausgegeben; aus Ben Jonson's Feder wahrscheinlich — ist die Ansprache „an die Lefer“ geflossen, welche sie einleitet. Die Herausgeber kündigen auf dem Titel eine Ausgabe an nach den wahrhaften Originalhandschriften, ,,according to the true original copies"; über den Zweck ihrer Ausgabe und die Stellung derselben zu den früheren Drucken sprechen sie sich näher so aus: da der Dichter selbst durch den Tod abberufen sei, ehe er seine eigenen Schriften veröffentlicht und den Druck überwacht habe, so hätten seine Freunde es übernommen sie zu sammeln und zu veröffentlichen, und zwar so zu veröffentlichen, daß, während die Leser „bisher mit verschiedenen gestohlenen und erschlichenen Abdrücken, verstümmelt und entstellt durch die Listen und Diebereien frecher Betrüger, angeführt“ seien, ihnen jezt sowohl diese, schon sonst veröffentlichten Schauspiele wieder hergestellt und mit ganzen Gliedmaßen," als auch die übrigen bis jezt noch nicht veröffentlichten Schauspiele „in aller Vollständigkeit der Verse,“ wie der Dichter sie geschrieben habe, dargeboten würden.

Neun Jahre später folgte die zweite Folioausgabe, von 1632, im Wesentlichen eine

*) So kündigt sich die zweite Quarto vom Hamlet, von 1604, auf dem Titel an als „newly imprinted and enlarged to almost as much again as it was, according to the true and perfect Coppie" und die dritte von Richard II., von 1608, erscheint,,with new additions of the parliament scene and the deposing of King Richard," da die ersten, noch unter Elisabeth erschienenen Quartos den größten Theil dieser Absetzungsscene nicht hatten bringen dürfen.

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